Eine neue Generation wächst heran - Kirchweih in Sanktanna 2.0
Wehe dem, der keine Heimat hat, sagte einmal der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche. Doch wie steht es mit denen, die zwei Heimaten haben? Gemeint sind damit die Rumäniendeutschen, die in den letzten 30-40 Jahren ihre alte Geburtsheimat verließen und in Deutschland eine neue Wahlheimat fanden. Ihr Herz schwankt zwischen den beiden Orten. In Deutschland haben sie sich längst schon integriert, sie haben Jobs, Familie und Kinder, doch ab und zu zieht es sie in ihre alte Heimat zurück. Die Kinder, die bereits in Deutschland geboren wurden und die sie jährlich ins Banat mitbrachten, sind nun Jugendliche, die bereit sind, zusammen mit anderen Jugendlichen vor Ort die Feste ihrer Ahnen gemeinsam zu gestalten. Da wundert sich keiner, wenn in einem traditionellen Kirchweihspruch das neudeutsche Wort „googeln“ erscheint. --- Anfang August werden jedes Jahr die deutschen Kulturtage mit dem traditionellen Kirchweihfest in der west-rumänischen Kleinstadt Sanktanna gefeiert – früher, eine Ortschaft mit mehrheitlich deutscher Bevölkerung. Hunderte Landsleute aus Deutschland nehmen sich Urlaub, fahren zu ihren Geburtsorten zurück und verbringen ein paar Tage oder sogar Wochen mit ihren Freunden, Familien und Kindern. Ein Beitrag von Adrian Ardelean:
Das erste Geldpaar Johanna und Sebastian mit den Kirchweiheltern Familien Reinholz und Hell
(Foto: der Verfasser)
Ein sonniger Sonntagmorgen in Sanktanna. Vor dem Haus des Vorsitzenden des örtlichen deutschen Forums, Martin Reinholz, ist es noch ruhig, es soll aber gleich anders werden: Jugendliche in der traditionellen deutschen Sankt-Annaer-Tracht kommen aus allen Richtungen. Mit dabei sind auch Männer mit Blasmusikinstrumenten. Sie sind die Sanktannaer Musikanten aus Deutschland, eine Kapelle, die es in dieser Form nicht mehr regelmäßig gibt. Ihre Mitglieder sind in 4 verschiedenen Bundesländern versträut und sie kommen nur noch zu besonderen Anlässen zusammen, um gemeinsam aufzuspielen. So ein Anlass ist das Kirchweihfest in der vertrauten alten Heimat. 8 bis 9 Tausend Deutsche lebten hier zu den Glanzzeiten der Gemeinde, zur Wende waren es noch an die 4 Tausend. Heutzutage leben in der west-rumänischen Kleinstadt weniger als 400 Bürger deutscher Muttersprache. Doch ein Mal im Jahr kehren die nach Deutschland ausgewanderten Sanktannaer wieder nach Hause zurück und machen Sommerurlaub in der alten Heimat. Hierfür wurde auch das traditionelle Kirchweihfest seit mehreren Jahren um eine Woche verschoben: Es wird nämlich am ersten Augustsonntag gefeiert, auch wenn das Fest der Heiligen Joachim und Anna auf den 26. Juli fällt und das Weihefest der Mutter-Anna-Kirche am darauffolgenden Sonntag gefeiert werden sollte.
Mehrere Hunderte Sanktannaer aus Deutschland fanden auch in diesem Jahr den Weg nach Hause zurück. Für Familie Reinholz ist das ein Fest der Zusammenkunft. Die Grußmutter freut sich am meisten darauf: gleich 6 Mitglieder der Kirchweihjugend, die in diesem Jahr die Tracht angezogen haben, sind ihre Enkelkinder, darunter das erste Geldpaar. Sie sind sozusagen die Gastgeber des Festes und das seit mehreren Jahren schon. Doch diesmal stellen die Reinholz' zum ersten Mal die Tochter Johanna als erste Geldfrau. Den ersten Geldherrn stellten diesmal die Familienverwandten aus Deutschland: Sebastian Hell wurde bereits drüben aus Sanktannaer Auswanderern geboren, doch die Heimat seiner Eltern ist ihm vertraut. Seine Mutter, Katharina Hell, ist die Kulturreferentin der Heimatortsgemeinschaft der Sanktannaer aus Deutschland.
Nachdem im Hof des Gastgebers drei Ehrentänze getanzt wurden, ziehen die Jugendlichen in Volkstracht mit den bunt geschmückten Rosmareinsträußen zu den Akkorden der Blasmusik durch die Stadt zur Kirche. Die jetzige katholische Ortskirche wurde vor 146 Jahren der Heiligen Anna, Mutter der Jungfrau Maria und Großmutter Jesu geweiht, nachdem die alte Dorfkirche infolge eines Brandes 10 Jahre davor komplett zerstört wurde. Den Festgottesdienst zelebrieren die Pfarrer Peter Zillich und Johann Ziermer aus Deutschland gemeinsam mit dem Ortspfarrer. Dabei erklingt das traditionelle Mutter-Anna-Lied. Am Ende des Gottesdienstes spricht der erste Geldherr den Kirchweihspruch. Nach dem Gottesdienst ziehen die Trachtenpaare und Kirchweihgäste in den Pfarrhof.
Das Programm wird am Nachmittag am Kirchweihbaum vor dem örtlichen Lambert-Steiner-Kulturhaus fortgesetzt. Der zweite Geldherr spricht den Kirchweihspruch in der örtlichen schwäbischen Mundart. Strauß, Hut und Tuch werden im folgenden versteigert, es wird getanzt zu der Blasmusik der Sanktannaer Kapelle unter der Leitung von Josef Wunderlich und Anton Kappes.
In Deutschland sind die Banater Schwaben in Heimatortgemeinschaften und einer Landsmannschaft organisiert. Der Vorstand aus München wurde durch die stellvertretende Vorsitzende Christine Neu vertreten. Sie erschien am Vormittag zum Gottesdienst in einer schwäbischen Kirchentracht.
Die Bedeutung der in Rumänien gebliebenen deutschen Gemeinschaft für die Beibehaltung einer Verbindungen zur Heimat hob der ehemalige Kulturrefferent der Heimatortsgemeinschaft Sanktanna Anton Bleiziffer hervor.
Zum ersten Mal beim Kirchweihfest in Sanktanna war diesmal die erste Sekräterin der deutschen Botschaft in Bukarest Andrea Stohr dabei. Sie zog eine bayerische Volkstracht an.
Die Gefühle, die das Herz berühren, bleiben für immer dort. Im Falle der ausgewanderten Landsleute werden diese dann ein Mal im Jahr wieder heraus gelassen, meint der Vorsitzende der Heimatortsgemeinschaft Sanktanna, Josef Lutz.
Mehr noch, die Landsleute aus Deutschland unterstützen durch ihre Hilfsvereine ihren Heimatsort. Johann Kerner ist Vorsitzender des Vereins Valores. Sein jüngstes Projekt bezieht sich auf den Schutz der beiden Stadtkirchen, nachdem die Mutter-Anna-Kirche in letzter Zeit drei Mal vom Blitz getroffen wurde.
Johann Kerner ersteigert in diesem Jahr den kleinen Kirchweihstrauß, den er nun bis zum nächsten Kirchweihfest in seinem Büro in Deutschland aufbewahren will. Das Stück Heimat, das er mitnimmt, soll ihm die Sehnsucht nach dem vertrauten Geburtsort bis zum nächsten Wiedersehen lindern.