Junge Medienbegeisterte aus ganz Deutschland sind am Wochenende nach Stuttgart gepilgert. Dort fanden zum zehnten Mal die Jugendmedientage statt. Eine Großveranstaltung von jungen Menschen für junge Menschen, die gerne im Medienbereich eine Zukunft einschlagen möchten. Vom engagierten Schulzeitungsredakteur bis hin zum eifrigen Internet-Blogger war alles vertreten. Das diesjährige Thema war „Echtzeit“. Im Fokus stand besonders der Online-Journalismus, der klassischen Medien den Platz streitig macht.
Die Auftaktveranstaltung wurde von Jan Böhmermann moderiert. Foto: Robert Tari
Vier Schüler aus Rumänien nahmen zum ersten Mal teil
In der Carl-Benz-Arena aus Stuttgart fand die Auftaktveranstaltung statt. Der deutsche Comedian und Moderator Jan Böhmermann führte durch den Abend. Charmant und frech gestand er den rund 500 angereisten Nachwuchsjournalisten, dass er vor einigen Jahren selbst im Publikum saß und von der großen Journalistenkarriere träumte. Mit 16 Jahren fing Böhmermann bei der Bremer Tageszeitung „Die Norddeutsche“ an. Ob die Zeitung überhaupt noch bestünde, fragte er scherzend in die Menge. Auskunft konnten ihm selbst die aus Bremen angereisten Teilnehmer nicht geben. Es wäre ein Wunder, wenn es die Zeitung noch gäbe, ließ Böhmermann andeuten. Denn Online-Magazine sind auf dem Vormarsch und keiner macht es zur Zeit so gut, wie Spiegel Online. Der Erfolg wird einem Mann angerechnet: Dem deutschen Journalisten Mathias Müller von Blumencron, der bis Mai 2008 Chefredakteur von Spiegel Online war. 2007 wurde der erfolgreiche Medienmacher von der Zeitschrift „Horizont“ zum „Medienmann des Jahres“ gekürt. Er nahm an einem Impulsgespräch teil und vertrat die Online-Front. Auf der anderen Seite der Debatte stand Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung. Während Von Blumencron von Martkführung sprach, sprach Dorfs von sinkenden Auflagenzahlen. Immerhin schafft es die Stuttgarter Zeitung einen Auflagenverlust von nur zwei Prozent pro Jahr zu erzielen. Im Durchschnitt kämpfen deutsche Tageszeitungen mit einem Rückgang von sieben Prozent pro Jahr. Viele haben schon längst dicht gemacht. Darum steuerte das Gespräch auf die Frage zu: Was müssen klassische Medien tun, um überhaupt noch wettbewerbsfähig zu sein. „Man müsse nicht so tun, als gäbe es das Internet nicht,“ meinte Dorfs. Eine Ansicht, die auch Von Blumencron vertritt. Komplett auf Online umsteigen, schwebt dem Chefredakteur allerdings nicht vor.
Junge Journalisten selbst wählen noch immer den herkömmlichen Berufseinstieg. Viele würden noch immer die klassische Redakteurenstelle suchen, wo sie an einer gut recherchierten, langen Reportage arbeiten können, statt an der 140 Zeichen langen Twitter-Meldung. Natürlich wollen viele inzwischen auch direkt bei einer Online-Redaktion einsteigen, doch auch eine Redakteursstelle bei der Stuttgarter Zeitung würden die meisten nicht ablehnen. Gut schreiben reicht dabei längst nicht mehr aus. Da sind sich Von Blumencron und Dorfs einig. Statt dem Allroundtalent stellt man lieber einen Fachspezialisten ein. Umsonst kann man anständige Sätze aufs Papier bringen, wenn man von Wirtschaft oder Politik eine Minimalahnung hat. Da empfiehlt es sich seine eigene Nische zu finden und sich auf einen Bereich spezialisieren, ehe es ein anderer tut. Denn um den begehrten Journalistenjob reißen sich schließlich nicht nur die 500 jungen Nachwuchsjournalisten, die für die Jugendmedientage angereist waren.
In Rumänien werden Streitgespräche zum Thema „Online versus Print“ gar nicht geführt. Immerhin kämpfen rumänische Medien mit weitaus größeren Problemen, als bloß sinkenden Auflagenzahlen. In Rumänien herrscht nicht nur ein dringender Bedarf an gut ausgebildeten Journalisten, sondern auch an kritischen Lesern. Während Tagesblätter wie die Stuttgarter Zeitung noch die Stellung hält, sind vergleichsweise in Temeswar/Timi{oara lokale Tagesblätter längst vom Zeitungsstand verschwunden. Die vierte Gewalt im Staate Rumänien liegt noch immer in den Windeln. Dafür wird zu wenig für die Ausbildung und Förderung junger Journalisten getan. Wie groß die Kluft zwischen deutschen und rumänischen Journalisten sein kann, durften auch vier Schüler aus Rumänien erfahren, die für die Jugendmedientage eine Anreise von 16 Stunden in Kauf nahmen.
Zum ersten Mal dabei: (von links nach rechts) Marius Tripa, Daniel Bu{an, Nobert Chirilenco und Karina Körösi
Zum ersten Mal mit dabei
Für Karina Körösi, Daniel Bu{an, Nobert Chirilenco und Marius Tripa war es die erste Teilnahme an den Jugendmedientagen. Karina Körösi schrieb sich für eine Werkstatt zum Thema „Radio-Podcast“ ein. Die 16-jährige Schülerin besucht die Nikolaus Lenau Schule aus Temeswar. Sie hat im Frühjahr an einer Journalistikfortbildung teilgenommen, die von der Banater Zeitung in Zusammenarbeit mit dem PausenRadio veranstaltet wurde. Aus der ursprünglichen Werkstattauswahl ist nichts mehr geworden, weil der Podcast-Referent Florian Preßmar kurzfristig abgesagt hatte. Stattdessen nahm Karina an einer Werkstatt zum Thema „Radiotexte“ teil. Referentin war die Reporterin Pauline Tillmann. In ihrer Werkstatt konnten die Teilnehmer erfahren, wie man fürs Radio schreibt, welche Regeln man beachten muss und worauf es ankommt, um eine erfolgreiche Radiojournalistin zu werden. „Man muss so schreiben, als würde man es seiner Mutter erzählen,“ erklärte Tillmann den Teilnehmern. Die Sätze müssen kurz, klar und verständlich formuliert werden. Eine gehobene Intellektuellensprache sollte man vermeiden und auch auf das Sprachtempo sollte man immer achten. Tillmann selbst fing ihre Karriere als Radiojournalistin in Rumänien an, wo sie bei Radio Neumarkt als Praktikantin arbeitete. Sie hat längst ihre Nische gefunden und zwar Osteuropa. Inzwischen arbeitet sie als freie Korrespondentin in Sankt Petersburg.
Karina wählte sich eine Radiowerkstatt aus, weil sie seit dem Frühjahr zusammen mit einer Freundin eine Jugendsendung bei Radio Temeswar produziert. Die Nikolaus-Lenau-Schülerin ist vielseitig begabt: Sie spricht vier Sprachen fließend, schreibt literarische Texte, spielt Gitarre und singt in der eigenen Band.
Marius Tripa und Daniel Bu{an wählten sich einen Videoworkshop aus. Die 17-jährigen Schüler von dem Adam-Müller-Guttenbrunn-Lyzeum aus Arad durften einige Grundkenntnisse erwerben, um einen Videoclip zu erstellen. Gearbeitet wurde in Gruppen. Die Ergebnisse wurden auch prompt ins Netz gestellt. Das Thema das in einem zwei minütigen Clip behandelt werden sollte, lautete ebenfalls „In Echtzeit“.
Norbert Chirilenco konnte sich seine Werkstatt nicht aussuchen. Der Lenau-Schüler sprang im letzten Moment für einen Kollegen ein, der aufgrund gesundheitlicher Probleme an den Medientagen nicht mehr teilnehmen konnte. Spannend fand es Norbert nichtsdestotrotz. In seiner Werkstatt wurde über Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gesprochen. Referent Jörg Prostka erklärte ausführlich, was die Arbeit eines guten Pressesprechers beinhaltet. Norbert selbst möchte nach dieser Erfahrung Medienwissenschaften studieren. Im nächsten Sommer macht Norbert seinen Abschluss, danach möchte er im Ausland studieren.
Über 30 Werkstätten wurden den Jugendlichen angeboten. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer betrug 18 Jahre. Neben den Werkstätten konnten die Teilnehmer auch lokale Medienanstalten besuchen. Wer einmal hinter die Kulissen schauen wollte und sich einen Eindruck davon machen wollte, wie es die Profis machen, konnte Radio- und Fernsehanstalten besuchen, wie Regio TV oder BigFM.
Im nächsten Jahr Hamburg
Es wurde nicht nur gearbeitet, sondern es wurde auch gefeiert. Am Freitag Abend fand eine Open Night statt. Höhepunkt des Abends war eine Poetry Slam, bei der einige bekannte Stuttgarter Dichter, Beatboxer und Musiker eine Kostprobe ihres Könnens darboten. Am Samstag Abend fand die JMT Party statt. Die Band 77 Bombay Street und DJ Mirko heizten den Teilnehmern so richtig ein. Geschlafen wurde in den vier Tagen in der Turnhalle einer Stuttgarter Schule. Die Teilnehmer mussten von Zuhause aus Schlafsäcke und Isomatten mitbringen. Gemeckert wurde nicht. Im Gegenteil: Das Übernachten im Sportsaal wurde vorab als einmaliges JMT-Erlebnis gepriesen.
Einmalig ist das richtige Stichwort, wenn man die Jugendmedientage in einem Wort beschreiben müsste. Eine Veranstaltung von jungen Menschen für junge Menschen. Ein Team bestehend aus fast 100 freiwilligen Helfern waren ebenfalls seit Dienstag nach Stuttgart angereist, um mit der Vorbereitung und Durchführung der Medientage zu helfen. Viele von ihnen waren einmal selbst Teilnehmer.
Im nächsten Jahr wird die 11. Auflage in Hamburg stattfinden. Mit neuen Werkstätten, neuen Teilnehmern, neuen Referenten, aber dem gleichen Ziel: Medienförderung für besser ausgebildete Journalisten, einem kritischen Publikum von morgen für eine demokratischere Gesellschaft.