„Ich habe nie an eine Solidarität geglaubt,“ bekennt die rumänische Dichterin Ana Blandiana. Zusammenhalt gab es zwischen den Gegnern des kommunistischen Regimes nicht. „Sobald man Verantwortung für seine Entscheidung und seine Taten tragen musste, zog man sich zurück,“ ergänzt Blandiana. Sie hatte Glück gehabt, weil sie ihren Mann Romulus Rusan an ihrer Seite hatte. Andere mussten wohl ein schwereres Los gehabt haben. Sie konnte es vor der Wende nur vermuten, denn die meisten Dissidenten agierten eigenständig.
Guerilladissident: Radu Filipescu teilte in den 80er Jahren Flugblätter in Bukarest aus. Foto: Robert Tari
Der Guerillaprotest einer Handvoll Dissidenten in Rumänien
Von der Aktionsgruppe Banat hat die Schriftstellerin erst nach der Wende erfahren. Es hat nicht viele Systemkritiker gegeben und die meisten wurden schnell von der Geheimpolizei mundtot gemacht. Zu einer Charta 77 ist es in Rumänien nie gekommen. Obwohl Blandiana zusammen mit ihrem Mann eine ähnliche Initiative starten wollte. Sie wollte eine Petition gegen das Regime verfassen und von anderen Intellektuellen und Schriftstellern unterschreiben lassen. Es wäre der Ausgangspunkt einer rumänischen Charta 77 gewesen, hätte ein Freund die gemeinsame Sache nicht verraten.
Heute streiten Historiker darüber, ob es eine Dissidentenbewegung in Rumänien überhaupt gab. Öffentlich kritisierten nur einzelne Personen das kommunistische Regime und die miserablen Umstände, die zu einer Staatsverarmung führten. Von Bürgerrechtsbewegungen oder Gruppenaufständen konnte kaum die Rede sein. „Es gab nur zwei größere Protestbewegungen,“ erklärt Romulus Rusan. „Der Aufstand der Bergleute aus Valea Jiului 1977 und der Arbeiteraufstand aus Bra{ov 1987.“ Beide Proteste wurden schnell niedergeschlagen. Die Bevölkerung erfuhr davon erst, als die Aufstände unterdrückt wurden. Dazwischen gab es einzelne Beispiele von Intellektuellen, die für ihre Texte oder Aussagen verfolgt wurden. Oft waren es Schriftsteller, die wegen einzelner Werke Schreibverbot erhielten oder unter Hausarrest gestellt wurden. Ana Blandiana ist eines dieser prominenten Beispiele, sowie auch die Nobelpreisträgerin Herta Müller. Blandiana wurde 1988 unter Hausarrest gestellt, nachdem sie in einem Gedicht Nicolae Ceau{escus Personenkult kritisierte. Die Banaterin wurde für ihre Kinderfigur Katerzwiebel bekannt, die sie 1982 schuf. Dem Kater schrieb sie Eigenschaften Nicolae Ceau{escus zu und kommentierte dadurch die Umstände im sozialistischen Rumänien. „Ich dachte nicht, dass die Menschen es merken würden,“ sagt Blandiana. „Dabei haben es alle sofort gemerkt.“
In dem Gedicht „Eine Berühmtheit auf meiner Straße“ beschreibt Blandiana die pompösen Straßenparaden, die Ceau{escu feierte und der wachsende Größenwahn des selbsternannten „Vaters der Nation“. Dafür wurde sie Tage lang von der Geheimpolizei terrorisiert. In der Bevölkerung dagegen, wurden ihre Gedichte gefeiert.
Auch Mircea Dinescu wurde vom rumänischen Majakowski zum Staatsfeind Nr.1 aufgrund seiner gesellschaftskritischen Haltung. Der Elektroingenieur Radu Filipescu wurde für drei Jahre eingesperrt, weil er in Bukarest Flugblätter verteilt hatte und zum gemeinsamen Protest ausrief. Eigentlich hätte Filipescu die Revolution im Gefängnis erleben müssen. Ursprünglich erhielt er eine zehnjährige Haftstrafe. Seine Flugblätter selbst mobilisierten die Menschen nicht. „Nur wenige hatten sich am besagten Treffpunkt eingefunden,“ sagt Filipescu über die geplante Protestbewegung. „Die meisten gehörten wahrscheinlich zur Securitate.“
Damit es zu Bürgerrechtsbewegungen nicht kommen sollte, wurde in den 1970er Jahren ein Gesetz verabschiedet, wodurch der Zusammenschluß von zwei bis mehreren Personen verboten wurde. „Das Gesetz können Sie heute vergeblich suchen,“ meint Romulus Rusan. „Gesetz hieß damals: Was Ceau{escu sagt, gilt als beschlossene Sache.“ Er und seine Frau wollten einmal ein Protestschreiben einreichen gegen eine vorgesehene Maßnahme der Regierung. Rusan wurde noch am gleichen Tag geladen und ihm wurde aufgetragen entweder auf seine Unterschrift oder die Unterschrift seiner Frau zu verzichten. Als Dissidenten sehen sich weder Rusan noch Blandiana. „Ich habe mich als Schriftstellerin gesehen und nur das gemacht, was ich als Schriftstellerin für richtig hielt,“ erklärt die Dichterin. „Um Dissident zu sein, muss man Teil des politischen Apparates sein, ehe man sich dagegen stellt.“
Dass es auch innerhalb der kommunistischen Partei Personen gab, die gegen das Regime waren, bewies 1979 Constantin Pârvulescu, der sich auf dem zwölften Parteitag der kommunistischen Partei Rumäniens gegen eine Wiederwahl Ceau{escus äußerte. Sein alleiniger Protest ging schnell unter, als die anderen Parteimitglieder für eine Wiederwahl des Diktators schrien.
In der Proklamation von Temeswar wurde die Feigheit der Aktivisten in 1979 als Argument verwendet, um linksextreme Parteien wie die PCR aus der Politik auszuschließen. Die dreizehn Punkte die 1990 in der Proklamation festgehalten wurden, ignorierte die erste Regierung nach der Wende. „Man fühlt sich erniedrigt,“ gesteht Blandiana. „Als ob alles umsonst gewesen wäre.“ Damit meint die Dichterin die Umstände, die nach dem Sturz Ceau{escus im Land geherrscht haben und noch immer herrschen. Besonders, weil die Nomenklatur überlebt hat. „Wenn man etwas richtig machen will, muss man es alleine tun,“ ist sich Blandiana inzwischen sicher. Sie selbst hat sich aus der Politik rausgehalten. Stattdessen kämpft sie heute zusammen mit ihrem Mann für eine gründlichere Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit. Die Gedenkstätte Sighet ist jedes Jahr Treffpunkt für Jugendliche, die mehr über die jüngste Geschichte Rumäniens erfahren wollen. Andere Systemkritiker haben auch Initiativen gestartet, doch es ist wie vor 1989 geblieben. Eine Handvoll versucht für alle zu kämpfen und selbst diese kleine Gruppe von Dissidenten, ziehen es noch immer vor, Einzelgänger zu bleiben.