Funkhaus Fünfkirchen

Parlamentarische Vertretung der Minderheiten in Ungarn – auch einige Rechtswissenschaftler dagegen

Die Diskussion um die parlamentarische Vertretung der Minderheiten geht weiter – seit der Wende ist eigentlich das Problem ungelöst. Es herrscht weiterhin Uneinigkeit in das „Wie“. Doch nicht nur Politiker und Parteien streiten sich darüber, sondern auch Rechtswissenschaftler.
Christian Erdei berichet.
Bereits in der alten Verfassung stand, dass die Minderheiten staatsbildende Faktoren sind. Das beinhaltet auch das neue Grundgesetz. Auf der Passage bezogen erklärte 1994 das Verfassungsgericht, dass der ungarische Staat eine Unterlassensverfassungsbeschwerde ausübt, solange die Vertretung nicht gelöst wird. Erst nach den Wahlen im vergangenen Jahre beschloss das neue Parlament, die Vertretung der Minderheiten in der Gesetzgebung zu lösen. Der nächste Schritt war eben die neue Verfassung. Dort steht: dass das Einbeziehen der Nationalitäten in die Arbeit des Parlaments durch ein Kardinalgesetz gelöst wird. Die Minderheiten wollten, dass im neuen Grundgesetz die parlamentarische Vertretung konkret stehen soll, dazu ist jedoch nicht gekommen. Doch führende Politiker der Regierungspartei Fidesz versicherten den Minderheiten, dass sie eine Vertretung gewährleisten.  „Das Problem der parlamentarischen Vertretung der Nationalitäten, was wir seit 20 Jahren nicht lösen konnten, werden wir nun lösen. Die Aufgabe der kommenden Monaten wird es sein, die konzeptionellen Fragen zu klären, natürlich durch Konsultationen mit den Betroffenen, mit den Vertretern der Nationalitäten.“  – sagte Parlamentspräsident László Kövér im Interview mit dem Fernsehsender, Duna TV.

Das „Wie“ ist jedoch fraglich. Darüber diskutieren auch Rechtswissenschaftler. Manche von ihnen sind gegen die parlamentarische Vertretung, wie András- László Pap, Mitarbeiter des Instituts für Rechtswissenschaften in der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. „Die Frage der parlamentarischen Vertretung der Minderheiten verbirgt solche Gefahren in sich, dass es kein Wunder ist, dass die Gesetzgebung sich mit dieser Frage in den vergangenen 20 Jahren nicht beschäftigt hat. Es gibt aber solche unikate Lösungen in Ungarn – wie der Minderheitenombudsmann oder das System der Minderheitenselbstverwaltungen – die die parlamentarische Vertretung ersetzen können. Man muss die Frage stellen, was die Nationalitäten von einer Repräsentanz im Parlament profitieren können, außer natürlich, dass ihre Vertreter für ein gutes Geld im Parlament sitzen. Welche Nationalitätenprobleme kann man lösen, wenn nur 1-2 Abgeordnete in der Gesetzgebung sind und sie auf die eigentliche Beschlüsse keine Wirkung haben können? Das kann nur eine symbolische Repräsentanz sein, diese wiederum kostet ungeheuer viel.“ – sagte der Rechtswissenschaftler.

Die Vertreter der Minderheiten halten eine solche symbolische Repräsentanz hingegen unakzeptabel. „Eine Vertretung ohne Stimmrecht ist keine Vertretung. Eine parlamentarische Vertretung heißt, dass man die gleiche rechte Besitzt, wie auch andere Abgeordnete.“ – sagte Otto Heinek, Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen im Gespräch mit NZ.

Jursit, Pap schlägt jedoch ein solches Vertretungsmodel vor, die schon die erste Orbán Regierung erarbeitet hatte. Für die Nationalitäten bedeute dies ein quasi Abgeordneten- Status. „Im Parlament würden die Vertreter der Minderheiten sitzen, sie würden aber kein Wahlrecht haben. Sie würden in die Arbeit der Ausschüsse einbezogen werden, Lohn kriegen, sie könnten ihre Meinung sagen, vielleicht auch Vetorecht in gewissen Fragen haben. Aber ein Wahlrecht für sie wäre unvereinbar mit dem Prinzip einer parlamentarischen Demokratie.“ – so András- László Pap.

Laut Heinek liege Pap falsch, in anderen Ländern funktioniere die Vertretung gut. „In Rumänien, Slowenien, Serbien, Polen funktioniert das System gut. Die politische Vertretung, die kulturelle Autonomie der Minderheiten ist ohne die parlamentarische Vertretung nicht vollständig, nicht komplex. Wir wollen eine Vertretung, die auf die Stimmen der Mitglieder der jeweiligen Volksgruppe beruht, das ist Demokratie!“

Laut Jurist, András- László Pap bestehe aber die Gefahr, dass die Minderheitenabgeordnete wichtige parteipolitische Fragen entscheiden könnten. „Die Ethno- Korruption bei den Minderheitenwahlen hat ja gezeigt, dass wir solche Ángste durchaus haben können. Auch heute sitzen solche Abgeordnete in den Minderheitenselbstverwaltungen deren Zugehörigkeit zu jener Volksgruppe, die sie vertreten, durchaus fraglich ist. Warum wäre das im Fall einer parlamentarischen Vertretung anders.“ Für LdU-Chef Heinek sind die Korruptions-Vorwürfe leere Parolen und würden der Wirklichkeit nicht entsprechen: „Um Gottes- Willen! Wie kann man in den örtlichen Minderheitenselbstverwaltungen korrupt sein? Die Körperschaften bekommen ja einige hunderttausend Forint vom Staat, wie kann man aus dem Geld korrupt sein? Ethno- Business ist außerdem nicht unser Business, das machen solche Leute, die die von den Gesetzgebern geschaffenen rechtlichen Lücken ausnutzen und unser Ruf schlecht machen. Warum werden wir dafür verantwortlich gemacht?“

Die Debatte geht also weiter. Die parlamentarische Vertretung der Minderheiten soll das neue Wahlgesetz lösen. Wann diese aber erarbeitet wird ist noch unklar.




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 Christian Erdei, Budapest, 02.05.2011
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