Gastbeitrag: Vertreter der Russlanddeutschen im Bundestag
Nicht nur die
Siebenbürger Sachsen haben einen Vertreter im Deutschen Bundestag, auch die
Spätaussiedler aus den ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion sind
repräsentiert. Heinrich Zertik hat mit vierundzwanzig Jahren seinen Geburtsort
in der Sowjetunion verlassen. Heute ist er in Deutschland unter anderem in der Arbeitsgruppe
für Aussiedler und Vertriebene im Bundestag tätig. Für die Deutsche Allgemeine
Zeitung in Almaty, Kasachstan berichtet der ifa-Redakteur Dominik Vorhölter.
Ein Geschenk für die Kanzlerin
Heinrich Zertik ist Mitglied im 18. Bundestag und arbeitet in der Gruppe für Aussiedler und Migration mit. Bei seiner täglichen Arbeit spürt er jedes Mal, dass viele Russlanddeutsche durch das Schicksal ihrer Familien untereinander verbunden sind.
Vor vierundzwanzig Jahren hatte er seinen Geburtsort Usynagatsch verlassen und ist nach Deutschland, in die Heimat seiner Vorfahren zurückgekehrt. Heute ist der 56-jährige Heinrich Zertik, der in Almaty eine Ausbildung zum Diplom-Psychologen abgeschlossen hat, Mitglied des 18. Bundestages wo er sich in der Arbeitsgruppe für Aussiedler und Vertriebenen politisch engagiert. Sein ganzes Leben und Denken dreht sich um das Thema Integration und Respekt gegenüber anderen Menschen und Einstellungen.
Über 20 Jahre in Deutschland
Mit fast 30 Jahren ist Heinrich Zertik mit seiner Frau in Deutschland angekommen. Damals, im Jahr 1988 existierte noch die Sowjetunion, deren Gesellschaft und Politik sich in der Phase der Perestroika umzugestalten begannen. So wurde es, unter dem Regime von Michail Gorbatschow einfacher für Angehörige der deutschen Minderheit, Ausreiseanträge zu stellen, was auch die Familie Zertik tat. „Meine Schwester und meine Oma sind schon 1988 nach Deutschland gekommen, meine Frau und ich kamen dann ein Jahr später“, erinnert sich Heinrich Zertik im Gespräch mit der DAZ. Damals hörte er auf den Namen Andrej, verrät er. Das ist typisch für viele Russlanddeutsche, die in der Sowjetunion lebten. Viele Familien versteckten ihre deutsche Herkunft.
Buchstaben sind nur Zeichen
So hieß Heinrich Zertik für die sowjetischen Behörden mit Vornamen Andrej und lies sich nur von seiner Großmutter Heinrich nennen. Bei der Übersiedlung nach Deutschland, im Jahr 1989 nahm er schließlich seinen familiären Rufnamen an. Auch bei seinem Nachnamen nimmt er an, dass es Übertragungsfehler gab. „Bei der Übersiedlung hatte man mich auf die Schreibweise meines Nachnamens hingewiesen. Es hieß, dass etwas komisch sei und man fragte mich, ob ich nicht Zertig oder Zertich hieße. Die Vorfahren von meinem Vater kamen aus der Ukraine. Als sie dort hingezogen sind, hat sich dort wahrscheinlich etwas in der Schreibweise geändert. Ich sagte, dass ich es so lasse. Die Buchstaben machen nicht den Menschen, sondern der Mensch selbst macht die Buchstaben“, stellt er fest. Aus diesen Worten klingt schon die Lebenseinstellung Heinrich Zertiks heraus. Er erfuhr schon im Kindesalter aus den Erzählungen seiner Großmutter über die Geschichte seiner Vorfahren, die nach Kasachstan vertrieben worden waren.
Familiengeschichten prägen
Heinrich Zertik ist in dem Dorf Kastek bei Almaty geboren und aufgewachsen und hat viele Geschichten seiner Großmutter gehört, welche den nach Kasachstan deportierten Deutschen angehörte. Vorher hatten seine Großeltern in der Ukraine gelebt. Von dort sind sie in den Ort Usynagatsch gelangt, nicht weit entfernt von der damaligen Hauptstadt Alma-Ata. „Meine Oma hatte eine Erinnerung an die Übersiedlung in die ‚Neue Heimat‘. Als damals der große Treck kam, da wurden die Deutschen aufgeteilt. Sie haben sich in verschiedenen Orten Kasachstans angesiedelt. Die Kasachen waren immer freundlich zu den Deutschen, haben ausgeholfen mit Milch und Brot. Mein Vater hatte seinen Bruder verloren und ist dort in Usynagatsch aufgewachsen. Die Kasachen haben auch sehr schnell Deutsch gelernt, genauso wie wir uns angepasst haben“. Es gab natürlich auch andere Geschichten. Zum Beispiel erfuhr Zertik von seiner Schwiegermutter, die damals in die Region Altai umgesiedelt worden war, dass die Deutschen dort von den Einheimischen im Gegensatz zu den Deutschen die nach Usynagatsch kamen, skeptisch aufgenommen wurden. Dies liegt daran, dass viele Menschen an die Propaganda der Sowjetunion geglaubt haben. Denn während des Zweiten Weltkrieges kursierten Propagandaplakate, auf denen die Deutschen als Teufel oder Stiere dargestellt wurden. Der einfache Sowjetbürger sollte das Vertrauen in die Deutschen verlieren und ihnen gegenüber misstrauisch begegnen.
Schöne Kindheit in Almaty
Somit hat Heinrich Zertik schon aus seiner Familiengeschichte ein Gespür dafür bekommen, was es heißt, als Minderheit in einem Vielvölkerstaat zu leben. Diese Erfahrungen kommen ihm bei seiner politischen Arbeit heute zu gute. Zum Beispiel erinnert sich Zertik gerne an seine Kindheit. Oft hat er sich mit den Nachbarskindern zum Fußballspielen oder Skifahren in den Bergen getroffen. Für ihn war es also selbstverständlich mit anderen Deutschen, Kasachen und Russen zusammenzuleben. So spiegelt seine politische Arbeit in der Arbeitsgruppe für Aussiedler und Vertriebene und seine Vereinsarbeit seine Lebenserfahrungen wieder. „Das etwas nicht stimmte, bekam man immer in der Schule zu Weihnachten oder zu Ostern mit. Dort musste man vorsichtig sein, um nicht bei den Lehrern aufzufallen. Es gab ja offiziell kein Ostern oder Weihnachten, und die Eltern hatten Angst davor aufzufallen. Aber wir Kinder haben untereinander mit den Sachen gespielt, die wir geschenkt bekamen“, erinnert sich Heinrich Zertik.
Den Menschen Vertrauen schenken
Den Menschen Vertrauen und Selbstvertrauen geben und ihnen mit Respekt zu begegnen, darin besteht die politische Arbeit von Heinrich Zertik. Als Mitglied des Bundestages engagiert er sich in der Arbeitsgruppe für Aussiedler und Vertriebene und hatte bis kurz vor seiner Berufung in den Bundestag den Vorsitz des Vereins Freundschaft-Druschba inne, der seit Jahren Integrationshilfe für Aussiedler und Migranten leistet. Jetzt haben ihn seine Vereinsmitglieder zum Ehrenvorsitzenden ernannt. „Die wollten mich nicht gehen lassen“. Von nun an pendelt er zwischen Schieder-Schwalenberg und Berlin. Jedes Jahr fördert der Verein 40 Projekte, welche vom Kreis Lippe, dem Land Nordrhein-Westfalen oder gar von Geldern der Bundesrepublik gefördert werden und dazu beitragen, dass Migranten und Spätaussiedler sich gut in die deutsche Gesellschaft integrieren. „Wir arbeiten eng mit dem Bundesamt für Migration zusammen und wollen versuchen, den Menschen mehr Selbstbewusstsein zu schenken, damit sie selbst Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen“, beschreibt Heinrich Zertik das Konzept der Förderung.
Hilfe zur Selbsthilfe
Er bevorzugt die Hilfe zur Selbsthilfe, weil sie seiner Meinung nach respektvoller gegenüber den Migranten und Spätaussiedlern ist und diese so als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft betrachtet werden. Er weiß, dass es noch einiges zu tun gibt. Zum Beispiel bei der Anerkennung der Bildungsabschlüsse. Viele Spätaussiedler können nicht mehr ihren erlernten Beruf ausüben, weil ihre Universitätsabschlüsse nicht anerkannt werden oder auf umständlichen Wegen wiederholt abgeschlossen werden müssten.
Untereinander eng verbunden
Durch seine Vereinsarbeit ist Heinrich Zertik sehr gut vernetzt und schätzt die Vielfalt der Russlanddeutschen, mit denen er tagtäglich im Kontakt steht. „Viele der Russlanddeutschen kommen aus verschiedensten Regionen Russlands oder Kasachstans. Das ist die Besonderheit, welche sie untereinander verbindet“. Diese besondere Verbindung scheint das Schicksal der Familien zu sein, welches alle teilen. Bei einem Treffen mit der Schlagersängerin Helene Fischer stellte Heinrich Zertik dies fest. Helene Fischer wurde in Krasnojarsk geboren. Ihre Großeltern waren, ebenso wie die wie die Großeltern Zertiks, zwangsumgesiedelt worden.
Heute ist Heinrich Zertik stolz darauf, dass er der Bundeskanzlerin Angela Merkel die neue CD von Helene Fischer, mit deren persönlichen Widmung, schenken durfte.