Banater Zeitung

Rumäniendeutsche Schriftseller an den Rand geschrieben

Es hat fünf Jahre gedauert, bis sich Helmuth Frauendorfer überreden ließ, eine Reise nach Temeswar/Timisoara zu unternehmen. Der aus Wojteg/Voiteni gebürtige rumäniendeutsche Schriftsteller möchte nur ungern in seine alte Heimat zurückkehren, woher er 1987 unter Zwang ausgewandert ist. Für Frauendorfer gab es keinen Platz in Ceausescus Rumänien. Dafür war er zu deutsch und zu intellektuell. Eine gefährliche Mischung in einem diktatorialen Staat. 


Eine Ausnahme stellte der damals 28-Jährige keineswegs dar. Auch die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller wurde aus der sozialistischen Republik Rumänien vergrault. Sie wanderte ebenfalls 1987 zusammen mit ihrem damaligen Ehemann Richard Wagner aus. Es wurde ihnen keine Wahl gelassen und der damalige rumänische Staat schlug daraus Profit, indem er eine Rechnung an die Bundesrepublik stellte. Pro ausgewandertem Deutschen musste die BRD eine bestimmte Summe zahlen. Wie hoch die Summe ausfiel, hing von der Person ab. Für die Auswanderung Herta Müllers, Helmuth Frauendorfers und der ehemaligen Mitglieder der Aktionsgruppe Banat musste das damalige Rumänien teuer bezahlen. Wer vorher an den Rand der Gesellschaft geschrieben wurde, erhielt nun im Westen eine Stimme. Ein Dorn im Auge der rumänischen Geheimpolizei blieben Müller, Wagner, Frauendorfer und Totok noch lange, nachdem sie das Land verlassen hatten.

Der orwellsche Überwachungsstaat

Davon erzählt Frauendorfer in seinem jüngsten Film „An den Rand geschrieben“, der vergangene Woche in der Zentralbibliothek der West-Universität gezeigt wurde.

Veranstalter der Vorführung war die Konrad-Adenauer-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Der Direktor der Gedenkstätte, Hubertus Knabe, erklärte dem anwesenden Publikum in seiner Ansprache, dass er Temeswar schon einmal besucht hat. Für einen Rumänienbesuch hatte sich Knabe jedoch das falsche Jahr ausgesucht. 1987 fand sich der Historiker nicht nur in einem verarmten Rumänien wieder, sondern auch in einem Land, das bereits einige seiner wichtigsten Schriftsteller zur Auswanderung gezwungen hatte. Was Knabe in Rumänien wollte, war ein Treffen mit der Schriftstellerin Herta Müller. Diese war inzwischen ausgereist. Was er stattdessen fand, waren menschenverlassene Straßen, ein strenger Winter, leere Schaufensterläden, keine Autos und keine Tankstellen. Knabe befand sich in einem orwellschen Überwachungsstaat. Für viele heute undenkbar.

Wenn er sich die Stadt anschaut, hat sich vieles verändert. „Nicht nur die Temperaturen sind gestiegen, sondern auch der Wohlstand“, scherzte Knabe. Es scheint, dass der Armutskommunismus in Rumänien ein Ende gefunden hat. Man würde meinen, dass es ein abgeschlossenes Kapitel ist. Doch hier zieht Knabe die Bremse: Die Schreckensherrschaft der Ceau{escu-Diktatur sollte noch nicht in die Geschichtsbücher verbannt werden. Noch ist das Thema hochaktuell. Solange Täter aus dem alten System noch frei herumlaufen, Täter, die ungeschoren davon gekommen sind und sogar wichtige politische Machtpositionen innerhalb der Regierung inne halten, kann man dieses Kapitel nicht abschließen.

Darum bemüht sich auch die Gedenkstätte, die Knabe in Berlin leitet. Vergangenheitsbewältigung und Aufklärung sind wichtige Ziele der Einrichtung, die in der ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit der DDR ihren Sitz hat. Allein im vergangenen Jahr hatte die Gedenkstätte 330.000 Besucher, davon waren rund 100.000 Schüler. Besonders die Jugendarbeit ist wichtig für Knabe, die er für unerlässlich hält, um auch künftige Generationen über die Verbrechen im Kommunismus aufzuklären. Genauso wichtig findet es auch Marius Oprea, der Vorsitzende des Instituts für die Untersuchung der kommunistischen Verbrechen in Rumänien. Was Rumänien mit der Auswanderung der Deutschen in den 1970er und vorwiegend in den 1980er Jahren trieb, war reinster Sklavenhandel. Man habe die Deutschen aus Rumänien hinausgeekelt, in eine Sackgasse getrieben, an den Rand der Gesellschaft geschrieben. Die Rumäniendeutschen wären nicht ausgewandert, hätte die Geheimpolizei nicht so viel Druck auf die Minderheit ausgeübt. Überhaupt findet Oprea, dass die Deutschen besonders aufgrund zweier Motive ausgewandert sind: Die Enteignung ihres Besitzes und die Verfolgungen durch die Securitate. Was mit der literarischen Aktionsgruppe Banat und dem späteren Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreis passiert ist, ist mit der gesamten Minderheit passiert.

Das Berwanger-Mysterium

In Frauendorfers Film erzählen ehemalige Mitglieder dieser literarischen Bewegungen über die Schikanen, denen sie durch die Geheimpolizei unterzogen wurden. An Vorwänden mangelte es nicht, um die jungen Schriftsteller einzusperren oder ihre Manuskripte zu beschlagnahmen. Ins Fadenkreuz der Securitate gerieten besonders die Mitglieder der Aktionsgruppe Banat. 1972 wurde die Gruppe gegründet, die nur drei Jahre später von der Geheimpolizei aufgelöst wurde. Die meisten schlossen sich später, in den 1980er Jahren, dem Literaturkreis Adam-Müller-Guttenbrunn an, der von Nikolaus Berwanger mitbegründet wurde. Berwanger nimmt in Frauendorfers Film eine besondere Rolle ein. Fast enigmatisch erscheint der ehemalige Chefredakteur der Neuen Banater Zeitung, der oft zwischen den Mitgliedern des Kreises und der Securiate trat und Konflikte löste. Harald Berwanger, der Sohn des verblichenen Journalisten, spricht im Film über dessen Securitate-Akte. Wie es Berwanger geschafft hat, sich die Securitate vom Leib zu halten und sich sogar gegen die Geheimpolizei durchzusetzen, war eine Frage, die vielen der Anwesenden auf den Lippen brannte. Nach der Vorführung fragte der Chefredakteur von TVR Timisoara Lucian Ionica, ob sich Frauendorfer nicht an das Thema Berwanger als nächstes heranwagen würde. Frauendorfer selbst hatte eine gespaltene Beziehung zu dem NBZ-Chefredakteur. Besonders nach dem Fall Franz Bulhardt wurden Berwangers Motive von vielen Mitgliedern des Kreises in Frage gestellt. Die sogenannte „Bulhardt-Affäre“ führte zur Zersplitterung des Kreises. Erst die Securitate-Akte Berwangers, die seit Mitte der 1960er Jahre gegen den rumäniendeutschen Journalisten geführt wurde, überzeugte Frauendorfer, dass Berwanger kein Mitläufer war.

Von Nestbeschmutzerin zum Nobelpreis

Auch Herta Müller spricht im Film über die Jahre im AMG-Literaturkreis, wo sie ihren ersten literarischen Preis erhielt. Ihrem erster Roman „Niederungen“ dürfte sie es wohl kaum verdanken, denn in Rumänien stieß er auf Ablehnung. Erst, als es Müller schaffte, ein Manuskript aus dem Land rauszuschmuggeln und ihr Buch in Deutschland veröffentlicht wurde, erhielt ihr Debütwerk die Anerkennung, die es verdiente. Der überraschende Erfolg im Ausland verleitete die Securitate dazu, Müller als Mitläuferin zu propagieren. Auch innerhalb der Banater Schwaben machte sich die Schriftstellerin keine Freunde aufgrund ihrer harschen Kritik. Als Nestbeschmutzerin wurde die Nobelpreisträgerin beschimpft. Auch aus der Maschinenfabrik, in der sie als Übersetzerin arbeitete, wurde die Schwäbin entlassen, nachdem sie sich geweigert hatte, mit der Securitate zusammenzuarbeiten. William Totok erging es nicht weniger schwer. Nach der Zerschlagung der Aktionsgruppe Banat wurde der Schriftsteller für fast neun Monate eingesperrt. Bei seinem Schriftstellerkollegen Horst Samson fand die Geheimpolizei bei einer Hausdurchsuchung eines seiner Manuskripte. Auch Totok wanderte 1987 nach Deutschland aus. Für die Geheimpolizei stellte Totok jedoch keinen abgeschlossenen Fall dar. Totok, Müller, Wagner und Frauendorfer wurden auch nach ihrer Auswanderung von der Securitate überwacht. In Deutschland organisierten die Schriftsteller Proteste gegen die Ceausescu-Familie, was den rumänischen Geheimdienst auf den Plan führte. Herta Müller erhielt neben Morddrohungen auch überraschenden Besuch von einer alten Freundin aus Rumänien, die ein Ausreisevisum für den Westen als Gegenleistung erhielt.

Die Schriftsteller sprechen im Film auch über den Kollegen und Freund Rolf Bossert, der 1986 in Deutschland ums Leben kam. Große Fragezeichen wirft der Fall Bossert auch heute noch auf. Der Literaturkritiker Gerhard Csejka las Bosserts Securitate-Akte und ist sich sicher, dass die Geheimpolizei für den Tod des Schriftstellers verantwortlich ist. Rolf Bossert war bereits 1985 mit seiner Familie in die BRD ausgewandert, nachdem er in Rumänien Schreib- und Arbeitsverbot erhalten hatte. Ein Jahr nach seiner Ausreise wurde Bossert tot vor dem Fenster des Hotelzimmers, das er gemietet hatte, aufgefunden. Es wurde vermutet, dass Bossert Selbstmord begangen hatte. Csejka glaubt, dass mehr dahinter gesteckt hat.

Bossert wurde von vielen seiner Kollegen als der beste Dichter der Aktionsgruppe Banat angesehen.

Wohin mit der Vergangenheit

Vor der Filmvorführung in Temeswar nahmen Helmuth Frauendorfer und Hubertus Knabe an der Sommerschule in Sighet teil. 70 Schüler aus ganz Rumänien nahmen an der Veranstaltung teil, die von der Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des antikommunistischen Widerstands in Rumänien jedes Jahr organisiert wird. Die Schüler stellten Fragen und zeigten sich über die Problematik interessiert.  Ein Grund zur Hoffnung für Helmut Frauendorfer, der sich eine raschere Demokratisierung nach 1990 in Rumänien gewünscht hätte. Er warf die Frage in den Raum,  welche Chance die Jugend hätte. Marius Oprea zeigte sich da optimistischer und gab Deutschland als Beispiel an, wo in den 1970er Jahren zunehmend die Schuldfrage in Hinsicht auf die NS-Vergangenheit geworfen wurde. Besonders Jugendliche hatten damals den Mut, unangenehme Fragen an ihre Eltern zu stellen. Der Zugang zu Informationen habe damals eine wichtige Rolle gespielt. Oprea ist zuversichtlich, dass die entscheidenden Fragen von selbst kommen werden. Nur wann, lautet die Frage, wenn selbst die ehemaligen Mitglieder der Aktionsgruppe Banat und des Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreises ihre Securitate-Akten vor zwei bzw. drei Jahren erhalten haben. Es scheint, dass man sich im postkommunistischen Rumänien gerne Zeit lässt. Man weiß ja nie, wer sich für die Schuldfrage verantworten müsste.
 
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